7 Fragen an ...

Founder und Creative Head Matthias Fuchs

WAS MACHT EIN GUTES BILD AUS?

 

Matthias, du hast gerade dein zweites Semester als Dozent für „Fotojournalismus“ an der renommierten Business School Berlin abgeschlossen. Was hast du versucht, den Studenten*innen des Bachelorstudiengangs „Modejournalismus“ zu vermitteln?

Was ein gutes Bild ausmacht!

Und das ist ... ?

Das kommt darauf an! Manchmal sind es einfach die Emotionen und Nähe, die man in einem Bild spürt. Wie bei Robert Capa. Manchmal ist ein Foto einfach gut, weil es ein Zeitdokument ist. Wie bei der Mondlandung. Dann ist es auch egal, wie das Bild entstanden ist. Das Foto des Magnum-Fotografen Thomas Hoepker von den chilligen jungen Leute am Ufer von Williamsburg wäre ohne die rauchenden Überreste des World Trade Centers im Hintergrund wahrscheinlich halb so bedeutsam. Manchmal ist es das Unmittelbare, das Dynamische, das Mittendrin, wie bei dem Streetphotographer Garry Winogrand, was ein Bild gut macht. Wobei auch hier die Zeit, die Ästhetik der 60er-Jahre, seinen Anteil hat: Es dürfte auch an dem „Angezogensein“ der Abgebildeten im damaligen NYC liegen, dass seine Bilder heute so faszinierend auf uns wirken und wir sie als so gelungen empfinden. In einer Zeit, in der Casual Wardrobe alles zu bestimmen scheint. 

Was muss für ein herausragendes Foto zusammenkommen?

Manchmal ist es der „entscheidende Augenblick“, wie es Henri Cartier-Bresson ausdrückte, bei dem sich viele Elemente und Ebenen im Bruchteil einer Sekunde verdichten. Der Regisseur und Schauspieler Dennis Hopper sprach vom „decisive moment“ und auch vom „moment in time“. Vielleicht sind dem Macher von „Easy Rider“ besonders starke Fotos gelungen, gerade weil er gar nichts schaffen wollte, gar keine Intention in der Fotografie hatte, nur getrieben von dem Wunsch war, diese besonderen Momente, die er gesehen hat, festzuhalten. Wim Wenders hat einmal gesagt: „Sehen kann man nicht lernen.“ Hopper fotografierte weder sozial engagiert noch formell oder künstlerisch ambitioniert. Er hat einfach das Sehen in seiner Welt mit Leidenschaft und einer Nikon F in Bildern festgehalten.

Haben die 60er- und 70er-Jahre dein Curriculum stark geprägt?

Definitiv! Klar, wir haben alle Epochen seit der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert behandelt. Aber die 60er- und 70er-Jahre sind in vielerlei Hinsicht ein Highlight: Es war die große Zeit des Umbruchs. Gerade in Amerika. Denken wir allein an die US-Bürgerrechtsbewegung, die Anti-Vietnam-Krieg-Proteste, Woodstock, die Hippies, den New Journalism aus den 60er- und 70er-Jahren mit Protagonisten wie Truman Capote oder Norman Mailer. Autoren, die mehr Unmittelbarkeit und Ehrlichkeit herstellen wollten. Das hat natürlich auch den Fotojournalismus beeinflusst. Das lässt sich wunderbar bei der deutschen Zeitschrift „twen“ aus den 70ern ablesen: mutige journalistische Geschichten mit Fotos, die Stories in Bilder übertragen. Gerade die „twen“, mit dem legendären Art Director Willy Fleckhaus, war im Grund der Vorreiter eines ambitionierten modernen Magazinmacherverständnisses: Eine Story mit allen verfügbaren Mitteln erzählen zu wollen; Text, Fotos, Typografie, Fond und Dramaturgie zusammen zu bringen. Und dann gab es die NOVA, ebenfalls ein richtungsweisendes journalistisches und fotojournalistisches Werk, der auf Veränderung setzenden 60er- und 70er-Jahre. Und beim Film gab es Ende der 60er »Blow Up« von Antonioni und, und, und! Das Entscheidendste der späten 60er und frühen 70er war: Es gab eine Jugend- und Alternativbewegung mit einer unverwechselbaren Musik und – ganz wichtig – einer Mode. Alles, was danach kommt, sind Reminiszenzen, Mix & Match, kulturelle Aneignungen. Madonna hat es in den 80ern vorgemacht: Mal Jungfrau, mal Punk, mal Esoterikerin, mal Hippie, mal Mutter, mal Disco-Queen – Popkultur. Nicht schlecht, aber anders. Das spiegelt sich auch seitdem in der Modefotografie wider: Reminiszenzen, Interpretationen von Themen. Hippie dient heute als Vorlage des Boho-Styles. Aber es ist natürlich legitim, sich immer wieder all dieser Stile bedienen zu wollen.

Doch neue Ideen gibt es auch heutzutage, oder?

Ja, gerade an der Schnittstelle zum Fotojournalismus und Künstlerischen entsteht immer wieder sehr viel Neuartiges und Authentisches. Denken wir allein an Jürgen Teller. Seine Arbeiten haben eine große Kraft, denn ihm geht es darum, das Authentische einer Person abzubilden. Zugleich stehen seine Bilder für die Moderne, da ist keine Spur von Nostalgie. Die Studenten*innen waren von seiner Serie der Ensemble-Mitglieder der Berliner Schaubühne sehr angetan. In der Modefotografie fällt mir sofort Nadine Ijewere ein. Ihre Bilder haben etwas sehr Eigenes. Aber sie hat auch ihr Thema: Sie ist eine Woman of Color und zeigt uns selbstbewusst selbstbewusste Menschen in ihren Bildern fern von Weiß, die häufig darüber hinaus gängige Schönheitsideale infrage stellen. Gleichzeitig ist jedes ihrer Bilder schön und ausgewogen wie ein Gemälde. Eine ganz große Künstlerin! Die Ausstellung „Beautiful Disruption“ mit verschiedenen Serien von Nadine Ijewere ist noch bis zum 02. September 2021 im C/O Berlin zu sehen.

Was hat dich am meisten an deinem Fach begeistert?

Zum einen die Studenten*innen! Das war definitiv kein leichtes Semester. Alles online. Da hat man schon so etwas wie die Helmut Newton Foundation vor Ort und muss den großen deutschen Modefotografen am Ende online behandeln. Hoffen wir, dass sich das für die Studenten*innen im Sommersemester 2022 anders darstellen wird! Aber sie haben das toll weggesteckt. Und ich war beeindruckt, wie häufig sie das, was sie auf Social Media erleben, als Fake entlarven. Und beeindruckt hat mich ihr Hunger, die Zusammenhänge verstehen zu wollen. Was trieb die ersten Fotojournalisten an? Warum gründete sich so eine bedeutsame Agentur wie Magnum? Was haben Paparazzi und Fotojournalisten gemeinsam? Warum ist der Paragraph 1 unserer Verfassung, die Würde des Menschen ist unantastbar, gerade für den Fotojournalismus so relevant? Und eben die traurige Erkenntnis, wie wenig von der Würde manchmal in den heutigen neuen Medien wiederzufinden ist. Sehr reif, was ich da erlebt habe. Sehr reflektiert!

Und was fasziniert dich auf der fachlichen Ebene?

Dass die Übergänge und Abgrenzungen der beiden Genres Fotojournalismus und Modefotografie fließend sind, wobei es nur eine Richtung gibt, die der Mode in Richtung Journalismus. Ich denke an das Buch- und Ausstellungsprojekt „Women are beautiful“, das die Streetphotography von Garry Winogrand und des Modefotografen Peter Lindbergh vereint. Zum Teil hat man Mühe, die Fotografen hinter den Bildern auf Anhieb zu identifizieren, denn im Ergebnis sehen sich Winogrands und Lindberghs Fotos zum Verwechseln ähnlich. Warum? Weil sich eben die Modefotografie den Mitteln der Streetphotography und journalistischer Bildsprachen bedient, um Unmittelbarkeit, Spannung und Authentizität und vielleicht auch Glamour zu generieren, aber da sind wir schon eher beim Paparazzi-Stil. Aber wie Peter Lindbergh zu Recht über die Beziehung der beiden Genres sagt, obwohl die Sprache manchmal fast gleich ist, könnte der Ansatz nicht unterschiedlicher sein: Während sich die Streetphotography und der Fotojournalismus im Idealfall einfach auf die Gegebenheiten spontan einlassen und Authentizität das oberste Ziel ist, ist bei der Modefotografie alles Intention. Nichts ist Zufall. Der „Zufall“ ist inszeniert. Neben dem Verständnis, was ein gutes Bild ausmacht, ist das wahrscheinlich mein zweites großes Ziel gewesen, dass die Studenten*innen verstehen, welche Intention hinter welchem Bild steht.

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